Kain by José Saramago

Kain by José Saramago

Autor:José Saramago [Saramago, José]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783455810264
Herausgeber: Hoffmann und Campe
veröffentlicht: 2011-08-24T22:00:00+00:00


8

Von einem Augenblick auf den nächsten befand sich derselbe Kain, der in Sodom gewesen war und sich wieder auf den Weg gemacht hatte, in der Wüste Sinai, wo er sich zu seiner großen Überraschung von einer mehrtausendköpfigen Menschenmenge umringt sah, die am Fuße eines Berges lagerte. Er wusste nicht, wer sie waren, nicht, woher sie kamen, und auch nicht, wohin sie wollten. Hätte er einen derer gefragt, die sich in seiner Nähe befanden, hätte er sich sofort als Fremder verraten, und das hätte ihm nur Ärger und Schwierigkeiten eingetragen. Da er, wie man sieht, vorsichtig und auf der Hut war, beschloss er, sich dieses Mal weder Kain noch Abel zu nennen, denn wenn der Teufel es wollte, tauchte womöglich einer auf, der von der Geschichte der beiden Brüder gehört hatte, und würde anfangen, peinliche Fragen zu stellen. Am besten war es, Augen und Ohren offen zu halten und seine eigenen Schlüsse zu ziehen. Eines war schon mal sicher, den Namen eines gewissen Moses führten alle im Munde, manche mit altehrwürdiger Verehrung, die Mehrheit mit noch frischer Ungeduld. Und diese waren es, die fragten, Wo bleibt Moses, vierzig Tage und vierzig Nächte ist es nun her, dass er zum Berg gegangen ist, um mit dem Herrn zu sprechen, aber bis jetzt kein Wort von ihm, der Herr hat uns verlassen, das steht fest, er will von seinem Volk nichts mehr wissen. Der Weg des Irrtums ist am Anfang schmal, doch findet sich immer einer, der bereit ist, ihn zu verbreitern, mit dem Irrtum ist es, um es mit einem Sprichwort zu sagen, wie mit Essen oder Sichkratzen, man muss einfach nur damit anfangen. Unter denen, die auf Moses’ Rückkehr vom Berg Sinai warteten, befand sich auch sein Bruder Aaron, den sie noch zu der Zeit, da die Israeliten in ägyptischer Sklaverei lebten, zum Hohepriester ernannt hatten. An ihn nun wandten sich die Ungeduldigen, Komm, mach uns Götter, die uns geleiten, denn wir wissen nicht, was mit Moses geschehen ist, und Aaron, der allem Anschein nach nicht nur keinen beispielhaft standfesten Charakter besaß, sondern auch ziemlich ängstlich war, weigerte sich nicht etwa rundweg, sondern sagte, Da ihr dieses wollt, reißt euren Frauen und Söhnen und Töchtern ihre goldenen Ohrringe ab und bringt sie mir hierher. Sie taten, wie ihnen geheißen. Dann warf Aaron das Gold in eine Form, schmolz es, und heraus kam ein goldenes Kalb. Scheinbar zufrieden mit seinem Werk und ohne sich der gravierenden Unvereinbarkeit bewusst zu sein, die mit der Frage einherging, wer künftig angebetet werden sollte, der eigentliche Herr oder aber ein Kalb, verkündete er, Morgen ist das Fest des Herrn. Dies alles vernahm Kain, der sich aus einzelnen Wörtern, Bruchstücken von Dialogen und angedeuteten Kommentaren allmählich eine Vorstellung nicht nur davon machen konnte, was dort vor sich ging, sondern auch über seine Vorfahren. Von großer Hilfe waren ihm dabei Unterhaltungen, die er in einer Gemeinschaftshütte hörte, wo die Junggesellen schliefen, also jene, die keine Familie hatten. Kain erklärte, er heiße Noah, ein besserer Name fiel ihm nicht ein, er wurde freundlich aufgenommen und nahm wie selbstverständlich an der Unterhaltung teil.



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